Dienstag, 10. Mai 2011

Wo die wilden Kerle wohnen ... THOR von Kenneth Branagh



„Thor“

(„Thor“; USA 2011; Regie: Kenneth Branagh)


Augenzucker aus Hollywood, kandiert und glasiert, glitzernd und strahlend: Kenneth Branagh, bekannt als Theatermime und für seine Kinoadaptionen von Shakespeare-Stücken wie „Henry V“ (1989), Much Ado About Nothing“ („Viel Lärm um nichts“; 1993) und „Hamlet“ (1996), hat sich an einen Superheldenfilm gewagt. Und, wider Erwarten, ist ihm das ziemlich gut gelungen.

Dabei hat sich der 51-jährige Brite den wohl abstrusesten Helden aus dem weitverzweigten Marvel-Comicuniversum ausgesucht: den hammerbewehrten, nordischen Donnergott Thor. Verkörpert wird dieser von dem australischen Schauspieler Chris Hemsworth („Star Trek“; 2009), der blond, blauäugig und muskelgepanzert wie ein Bilderbucharier wirkt. Nach einer visuell überdeutlich an Leni Riefenstahls Paraden aus „Triumph des Willens“ (1935) angelehnten, aber gescheiterten Inauguration zum König wird Thor wegen seines aufbrausenden Temperaments von seinem Vater Odin verstoßen (Anthony Hopkins – noch ein Brite, der, wenn er nicht gerade als kannibalischer Serienmörder reüssiert, vor allem als Bühnenschauspieler und mit Literaturverfilmungen bekannt ist). Aus Asgard verbannt verschlägt es unseren Helden dann nach Amerika. Und obwohl der Film im New Mexico der Gegenwart angesiedelt ist, zitiert er natürlich in fast jeder Einstellung 50er-Jahre-Americana wie die Kleinstadt mit Diner, Bar, Dorfschönheit und Wüste drum herum. Der Running gag, den Branagh daraus entwickelt, dass der tumbe Heros im modernen Amerika wie ein debiler Wrestler oder ein stumpfsinniger Redneck wirkt, ist allerdings auch bei der x-ten Wiederholung nicht sonderlich innovativ. So weit, so vorhersehbar.

Was Branagh aber umso besser gelingt, das ist die Parallelhandlung in Asgard und die Geschichte von Thors Vertreibung aus dem Götterreich, die uns zu Beginn in einer langen Rückblende erzählt wird. Ist hier erst einmal die ärgerliche Riefenstahl-Reminiszenz abgehandelt und die abstruse Prämisse des Films vergessen, dann kann man „Thor“ durchaus als das genießen, was er in erster Linie sein will: visuell opulentes Überwältigungskino, das selbst das mittlerweile totgerittene und für Produktionen dieser Größenordnung obligatorische 3D effektiv einsetzt. Der eigentliche Star des Films aber ist weder das stereoskopische Format, der Superheld oder seine Gegner, sondern die in der Krone der Weltenesche Yggdrasil gelegene, in komplementärfarbigen Tableaus von Goldgelb und Blau getaucht Götterwelt Asgard, wo die aufbrausenden Göttersöhne hausen. Diese Fantasiewelt ist eine wahre Augenweide: mit Ansammlungen goldener Türme, die wie futuristische Orgelpfeifen wirken, allenthalben glänzenden Oberflächen und einem glitzernden Sternenhimmel; zusätzlich eine gigantische Brücke, die dunkel funkelt und aus einem Material gefertigt ist, das wie eine Art elektrisierter schwarzer Marmor aussieht. Über diese Brücke gelangen die Helden in die Gegenwelten; zu den Menschen oder in die Welt der Frostriesen von Jotunheim, die, so will es der Plot, Thors Erzfeinde sind. Eye candy nennen die Amerikaner so etwas: Nichts für den Kopf, sondern was fürs Auge.

Für solch einen irrwitzigen Bombast scheint paradoxerweise gerade ein kühler Brite wie Branagh der ideale Regisseur zu sein. Immerhin war es einer seiner Landsleute, der den bis heute besten Fantasyfilm überhaupt gedreht hat: John Boorman, der mit seinem rauschhaften „Excalibur“ 1981 versuchte, die Artus-Legende noch einmal ganz ironiefrei zum Leben zu erwecken. Doch während der Mythopoet Boorman die Artus-Sage von späteren christlichen Anverwandlungen befreit und zum Schwanengesang auf das Heidentum und die alten Naturgötter umdeutete, da beschreitet Branagh den diametral entgegengesetzten Weg: Er christianisiert Thor und die nordische Mythologie. So wirkt der Donnergott eher wie der blond-blauäugige Jesus unzähliger Bibelverfilmungen, sein gütig-weiser Vater Odin mit dem weißen Rauschebart wie eine Mischung aus den kitschigsten Gottesbildern des Christentums und dem Weihnachtsmann. Auch Loki (Tom Hiddleston), hier Thors (Stief-)Bruder, ist nicht mehr der Trickster der Mythologie, sondern wird zum gefallenen Engel Luzifer inklusive der nach hinten gebogenen Hörner, die seinen Helm zieren. Hinzu kommen Anklänge an die durch das Kino wieder und wieder geplünderte griechische Mythologie, etwa wenn Thor auf der Erde wie einst Steve Reeves’ Herkules in Pietro Franciscis „Le fatiche di Ercole“ („Die unglaublichen Abenteuer des Herkules“; 1958) gute Taten vollbringt und mit einer Menschenfrau (Natalie Portman) anbandelt. Das Ergebnis ist Camp in höchster Vollendung, und gerade die prinzipielle Lächerlichkeit dieses Sammelsuriums an Absurditäten bereitet dem befreienden Lachen seinen Weg. Selbst eine Referenz an Richard III.“ findet hier ihren Platz, wenn der stoische Held in ein Zoogeschäft stürmt und „A horse, I need a horse!“ deklamiert. Warum Thor überhaupt (akzentfrei) Englisch spricht, ist wie die anderen Logiklöcher des Plots darüber schnell vergessen. Und da Branagh nicht den Fehler macht, den Bogen zu überspannen und eine Actionszene an die andere zu reihen, sondern stattdessen auf jeden Krawall eher kontemplativen Unsinn folgen lässt, kommt man auch nicht völlig erschlagen, sondern im Großen und Ganzen ziemlich gut gelaunt aus dem Kino.


Dieser Text ist zuerst erschienen auf www.filmgazette.de


„Thor“ („Thor“; USA 2011)
Regie
: Kenneth Branagh - Drehbuch: Ashley Miller, Zack Stentz, Don Payne - Produktion: Kevin Feige, Stan Lee - Kamera: Haris Zambarloukos - Schnitt: Paul Rubell - Musik: Patrick Doyle - Besetzung: Chris Hemsworth, Natalie Portman, Anthony Hopkins, Idris Elba, Kat Dennings, Ray Stevenson, Stellan Skarsgård, Tom Hiddleston, Rene Russo, Clark Gregg, Jaimie Alexander, Colm Feore - Verleih: Paramount - FSK: ab 12 Jahre – Deutscher Kinostart: 28.04.2011 - Länge: 114 Min.



Und – as usual – der Originaltrailer via Youtube:


1 Kommentar:

Yman hat gesagt…

I usually agree with your analyses and your understanding of the underlying significations but I think you’re way overdoing it and actually totally of the mark when it comes to Thor. First off, although yes the characters are based on the German-Celtic mythology, the fact of the matter is the comic on which it is based has pretty much nothing to do with that except for the names. Second, the movie, quite obviously in my opinion, should not be called Thor but Loki as it sets up Loki to be the main villain for the upcoming Avengers movie, where he is the comic’s main villain. Again, whether or not Loki is the Scandinavian Pan is irrelevant because he is, in the comic, exactly how he is portrayed in the movie.

This being said, I think you’re going way too far in your Riefenstahl references. You pointed out quite well the cliché Americana of the movie (comic world) and when you look at the comics, seldom are the characters «normally» built as they all follow the «Aryan» cut of tall, extremely muscular, beautiful, etc (this goes way beyond Thor as the upcoming Captain America movie will show). Same goes for the female characters that are all big breasted, perfectly curvy and astoundingly beautiful (did you notice that Natalie Portman has never had bigger breasts than in this movie, shot before her pregnancy?). And Thor is a God (why should he speak with an accent? He probably speaks every language anyway) so he needs to be the «model». I think you’re going into an extremely deep (and inaccurate) analysis when handling the movie as you are. I fully understand that northern mythology and its appropriation by fascist movements is repulsive and reprehensible, but I think this does not apply to this movie. I understand that the Avengers project is all about bringing in big name actors and directors and set up a new credible trend for «comic» movies but the latter remain exactly that, comic books on screen with very little deeper meaning. There’s a reason why people are making a difference between the graphic novel and the comic, and that’s because the comic is all about fantasy and being super rather than angst ridden and ordinary.

I though the movie’s main problem, in comparison to Hulk or Iron Man was that there was no story per say and was nothing but an introduction for Thor, Hawkeye (Jeremy Renner) and Loki. I think Marvel has a standard photography model and style that leaves very little creative possibility to the director, not counting weak scripts when the main characters have little to offer.

As I said, I get and appreciate that you get the 2-5 levels of text underlying a movie but this is simply not the case with Thor or the other superhero movies that came out the last 3 years or that will be coming out in 2011-2012 (the only exception being the Batman trilogy, in which Nolan clearly stated he doesn’t believe in superheroes). Thor and Captain America are no different from Green Lantern, X-Men or the Transformers and I believe should be analyzed and taken as such – expensive, overrated, popcorn drenched in butter movies that feeds our love for the superficial.