Samstag, 14. März 2015

Arbeit im Genre-Steinbruch: DIE KOCH MEDIA ITALOWESTERN-ENZYKLOPÄDIE, No. 1




DVD-Rezension
DIE KOCH MEDIA ITALOWESTERN-ENZYKLOPÄDIE, No. 1

Einen bunten Strauß Western-Merkwürdigkeiten, die das europäische Populärkino zwischen 1967 und 1970 hervorgebracht hat, bietet die erste Ausgabe der "Italowestern-Enzyklopädie" von Koch Media mit Filmen wie GENTLEMAN JO … UCCIDI (SHAMANGO; 1967) von Giorgio Stegani, … E PER TETTO UN CIELO DI STELLE (AMIGOS; 1968) von Giulio Petroni, I VIGLIACCHI NON PREGANO (SCHWEINEHUNDE BETEN NICHT; 1969) von Mario Siciliano sowie ROY COLT E WINCHESTER JACK (DREI HALUNKEN UND EIN HALLELUJA; 1970) von Mario Bava. Der Begriff Enzyklopädie ist tatsächlich treffend gewählt: Die DVD-Box versammelt abgesehen von … E PER TETTO UN CIELO DI STELLE eine Reihe eher billig produzierter, und damit typischer Werke des Subgenres, die als beispielhafte B-Filme ohne Hierarchisierung und Wertung dargeboten, so etwas wie einen überblickhaften Ausschnitt des Genres darstellen. In diesem Sinn erfüllt die Edition tatsächlich die filmhistorische Funktion eines Nachschlagewerks und ist eine Grundlage für die Forschungsarbeit am Genre durch Filmwissenschaftler und Fans, denen die eher obskuren Filme hier in durchgängig guter bis sehr guter Qualität präsentiert werden. Allenfalls eine wirkliche Ausgrabung fehlt vielleicht wie sie Koch Media z.B. mit der Veröffentlichung von Nando Ciceros gewalttätigem IL TEMPO DEGLI AVVOLTI (ZEIT DER GEIER; 1967) oder Giulio Petronis Schlüsselwerk TEPEPA (1969) geleistet hat.

Die Einzelfilme sind in einem Digipak untergebracht, das in einen Pappeschuber eingefasst ist. Das Design ist etwas lustlos und komplett ohne Bilder ausgefallen (auch Enzyklopädien dürfen durchaus Bilder beinhalten, liebe Köche!). Front und Back-Cover liefern (z.T. im Prägedruck) textbasierte Informationen zu den Filmen, wobei mit ironischem Gestus für jeden Film ein Zitat des für seine apodiktischen "Wir raten ab"-Bewertungen berüchtigten "Lexikon des Internationalen Films" mitgeliefert wird. So erfahren wir etwa über GENTLEMAN JO … UCCIDI, dass dies ein "brutaler Eurowestern voller Klischees" sei, und an ROY COLT E WINCHESTER JACK werden die "üblichen Schlägereien, (der) ordinäre Dialog und aufgesetzte Sexszenen" moniert. So erscheint, was einmal als Verriss intendiert war, heute als Ausweis der typischen Genrestilistik und prägnante Werbeformel. Auf ein Booklet wurde leider verzichtet. Auch sonst herrscht im Inneren der Sammlerbox die Beschränkung aufs Funktionale vor. Sei's drum – Verpackungsfetischismus ist sowieso eine Degenerationserscheinung des Fandoms, und letztlich zählen die inneren Werte. Die sind hier zwar etwas wechselhaft, einen Blick wert sind aber alle vier Filme, die jeder für sich – und mit allen ihren Qualitäten, aber auch Unzulänglichkeiten – typisch für die Serienproduktion Cinecittàs in dieser Ära sind.


Epigonentum: GENTLEMAN JO … UCCIDI von Giorgio Stegani

Da ist etwa Giorgio Steganis GENTLEMAN JO … UCCIDI (SHAMANGO), der älteste der in der Box untergebrachten Filme, der in Italien am 14. August 1967 uraufgeführt wurde (in der BRD: 29. März 1968). Steganis im anglophonen Ausland auch unter den Titel GENTLEMAN JOE oder GENTLEMAN KILLER bekannter Film ist von allen vier Western am deutlichsten der von Leone mit PER UN PUGNO DI DOLLARI (FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR) drei Jahre zuvor etablierten Formel verpflichtet. Schon die ersten Bilder zitieren eine zu diesem Zeitpunkt längst ikonografisch gewordene Einstellung des Subgenres, die Leone mehrfach in seinen Filmen einsetzte und die den Western all'italiana deutlich von seinem US-amerikanischen Verwandten absetzt: In einer subjektiven Einstellung fotografiert flieht ein Mann in die Tiefe des Techniscope-Bildkaders und wird sogleich durch den Protagonisten, dessen Perspektive dem Publikum durch die Point-of-View-Kamera aufgezwungen ist, in den Rücken geschossen. Auch sonst arbeitet sich GENTLEMAN JO … UCCIDI geradezu pflichtschuldig an der vertrauten Stilistik des Genres ab: Immer wieder sucht die agile Kamera subjektive Perspektiven, mitunter wird auf eine handgeführte Kamera zurückgegriffen, Großaufnahmen von übernahe an die Kamera gerückten Gesichtern werden ausgestellt. Einzelne Szenen geraten gar zur parodistischen Anrufung der vertrauten Motive, etwa wenn die Kamera in einem langen Schwenk nacheinander die herumlümmelnden Mitglieder einer Banditengruppe einfängt, wobei jeder der Männer einen anderen nervösen Tick an den Tag legt, der die Aufmerksamkeit zusätzlich auf sein verwildertes Gesichter lenkt: Einer kratzt sich den Bart, ein anderer zerkaut seinen Zigarillo, der nächste wischt sich den Schweiß von der Stirn und wieder ein anderer wedelt sich mit einem Holzfächer Luft zu.


Die Handlung dieser italienisch-spanischen Koproduktion war allerdings bereits 1967 allzu vertraut, um noch Interesse zu wecken und kreuzt recht vorhersehbar die aus PER UN PUGNO DI DOLLARI vertraute Geschichte von der Ankunft eines Trickster-Helden (hier: Anthony Steffen aka Antonio De Teffè als "Gentleman Jo") in einer von Mexikanern und US-Amerikanern umkämpften Grenzstadt mit den unzähligen Vendetta-Varianten, die der Erfolg von Corbuccis DJANGO (1966) nach sich zog. Der hier gegen sein Image besetzte Steffen gibt seinen Glückspieler als leicht affektierten Dandy, der glattrasiert und im weißen Rüschenhemd mit steifem Gang durch die Sets stolziert und mitunter an den jungen Roger Moore erinnert. Einige Szenen von Steganis Film wirken ausgestellt theatralisch, andere gemahnen in ihrer Reduktion an die japanischen Chanbara, wieder andere, etwa die Szenen mit der Dorfbevölkerung, erinnern an eine Gothic-Variante des Genres. Im Gegensatz zu der zu dieser Zeit erstmals auftretenden Revolutionsformel des Genres erscheinen die Mexikaner dieses Films ausschließlich als rassistische Abziehbilder – dreckig-verschwitzte greasers, blutrünstige bandidos und ungebildete peónes allesamt – was den Film zu einer durchaus reaktionären Variante des Genres macht. Ansonsten setzt sich GENTLEMAN JO … UCCIDI allenfalls formal von der B-Ware dieser Jahre ab, und nicht einmal Bruno Nicolais Score wirkt sonderlich inspiriert. Das Finale schlägt immerhin einen ungewöhnlichen Weg ein: Zum einen muss der Held nach dem unfreiwilligen Konsum von drei Flaschen Whiskey die letzten 20 Minuten des Films stockbesoffen bestreiten, zum anderen kommt es letztlich nicht zum obligatorischen finalen Shootout, da wie in einem US-Serienwestern der 30er Jahre in letzter Sekunde die Kavallerie einreitet und unseren Helden rettet. Das zumindest habe ich in einem Italowestern noch nicht gesehen.


Das Bild ist leicht windbowboxed, aber qualitativ gut. Die Titel sind in Französisch, was nahelegt, dass das Master auf einer französischen Fassung beruht. Der Ton liegt in Deutsch, Englisch und Italienisch vor. Auch wenn man den Film in der italienischen Fassung mit Untertiteln sieht, wechselt der Ton immer wieder zu Englisch, was darauf zurückzuführen ist, dass der offensichtlich ungekürzte Film aus verschiedenen internationalen Versionen rekonstruiert wurde. Die Extras sind wie bei den anderen Filmen der Box überschaubar, aber völlig angemessen: ein kurzes Feature, in dem der Filmjournalist Antonio Tentori Hintergrundinfos zu dem Film referiert, deutscher Trailer und Vorspann sowie eine Bildergalerie.

DVD-Informationen:
Titel: SHAMANGO
Originaltitel: Gentleman Jo … uccidi
Anbieter: Koch Media
Produktionsland/-jahr: Italien, Spanien 1967
Regie: Giorgio Stegani
Laufzeit: 93 Minuten
Bild: 2,12:1 PAL anamorph
Ton: Deutsch DD 2.0; Englisch DD 2.0; Italienisch DD 2.0
Untertitel: Deutsch
Extras: Featurette "Shamango tötet sie alle" (6 Minuten); Deutsche Vorspannsequenz (2 Minuten); deutscher Trailer (3 Minuten); Bildergalerie




Trickstertales: … E PER TETTO UN CIELO DI STELLE von Giulio Petroni

Einen Trickster spielt auch Giuliano Gemma in Giulio Petronis … E PER TETTO UN CIELO DI STELLE, der im Jahr darauf als rein italienische Produktion entstand. Seine zwischen Melancholie und Slapstick-Humor oszillierende Tonalität setzt den Film allerdings deutlich von den frühen Varianten des Genres ab und erinnert, auch durch die Besetzung Mario Adorfs als dümmlichem Bergmann, der widerwillig eine Partnerschaft mit dem umtriebigen Gemma-Protagonisten eingeht, an die von Giuseppe Colizzi etwa zeitgleich etablierte Variante des Western comico mit dem Erfolgsgespann Bud Spencer und Terence Hill. Der Alternativtitel AMIGOS – DIE (B)ENGEL LASSEN GRÜSSEN schlägt in eben diese Kerbe, auch wenn die deutsche Synchronfassung angenehm seriös ausgefallen ist. Während Adorf als Räuber-Hotzenplotz-Lookalike mit Feder am Hut ebenso einfältig wie naiv durch dieses Westernschelmenstück stapft, da gibt Gemma seinen lose an "Billy the Kid" angelehnten Billy Boy als Hansdampf in allen Gassen, als ebenso verfressenen wie keinem amourösen Abenteuer abgeneigten Taugenichts, der mit einer Gruppe Schausteller durch den Westen zieht und eine falsche Meerjungfrau (Julie Menard) ausstellt. Als beide einmal dringend Geld brauchen, muss Adorf als menschlicher Salamander auftreten und darf Feuer spucken. Der von Federico Boido gespielte Schurke agiert wie eine Art Springteufel, der immer wieder unvermittelt in der Szenerie auftritt, um die episodische Handlung voranzutreiben. In einem kurzen Gastauftritt zeigt der britische Schauspieler Anthony M. Dawson als sadistischer Banditenvater, wie man mit einem nagelbesetzten Brett eine attraktive junge Dame zum Reden bringt – autsch!


Überhaupt enthält Petronis Film, der überwiegend als Serie von Tit-for-Tat-Momenten angelegt ist, bei denen sich die beiden Buddies gegenseitig übers Ohr hauen, einige Grausamkeiten, die im merkwürdigen Kontrast zu den eher leichten und humorvollen Sequenzen stehen. Zu den Höhepunkten des durchaus unterhaltsamen und exzellent ausgestatteten Films zählen das von Ennio Morricones wunderbarer Musik begleitete wortlose Begräbnis während des Prologs und ein Auftritt von Magda Konopka als lüsterne Witwe. Am Ende sind unsere Helden der traurigen Gestalt weder reich noch erfolgreich durch ihre Betrügereien geworden, und so bleibt ihnen nur "als Bett ein Himmel voller Sterne", wie der ungewohnt poetische Originaltitel verspricht (auch nicht besser als ein Bett im Kornfeld, mag man meinen).


Petronis Film ist mit weitem Abstand der am aufwendigsten inszenierte und qualitativ auch der beste der vier Filme – mit einem guten Händchen für attraktive Locations, innovative Sets und ungewöhnliche Kostüme. Der Humor mag zwar gewöhnungsbedürftig sein, aber neben hemmungslos albernen Szenen gelingen Petroni und seinen beiden Hauptdarstellern auch einige wirklich lustige Momente. So erweist sich … E PER TETTO UN CIELO DI STELLE zwar als bei weitem nicht der beste Film Petronis, angesichts seines eher schlechten Rufs in den üblichen Nachschlagewerken jedoch als angenehme Überraschung. Mit der Ausstattung der DVD tragen die DVD-Produzenten dieser Qualität Rechnung: Mit zwei Features, drei Trailern und zwei alternativen Vorspannsequenzen zusätzlich zur obligatorischen Bildergalerie ist dies der am reichhaltigsten ausgestattete Film der Box.

DVD-Informationen:
Titel: AMIGOS
Originaltitel: … e per tetto un cielo di stelle
Anbieter: Koch Media
Produktionsland/-jahr: Italien 1968
Regie: Giulio Petroni
Laufzeit: 93 Minuten
Bild: 2,16:1 PAL anamorph
Ton: Deutsch DD 2.0; Englisch DD 2.0; Italienisch DD 2.0
Untertitel: Deutsch
Extras: Featurette "Ein Mann der Tat" (9 Minuten); Featurette "Und als Dach ein besternter Himmel" (12 Minuten); Deutsche Vorspannsequenz (2 Minuten); deutscher, italienischer und englischer Trailer (je 3 Minuten); Bildergalerie



Giallo-Western: I VIGLIACCHI NON PREGANO von Mario Siciliano

Prominenz vor und hinter der Kamera bietet auch Mario Sicilianos I VIGLIACCHI NON PREGANO, der SARTANA-Darsteller Gianni Garko (= Giovanni Garcovich) und Ivan Rassimov in den Hauptrollen gegeneinander antreten lässt. Als Koautor neben Regisseur Siciliano fungierte der für seine Gialli berühmte Drehbuchautor Ernesto Gastaldi. Und tatsächlich beginnt die italienisch-spanische Koproduktion mit einer stimmungsvoll inszenierten Sequenz, die ästhetisch an einen Giallo oder einen Gothic-Horrorfilm erinnert, wenn der ehemalige Konföderierten-Soldat Bryan Clarke (Garko) nach dem Ende des Krieges in einer pechschwarzen Regennacht Besuch von einem Trupp Nordstaatensoldaten bekommt, der seine Frau vergewaltigt und anschließend ermordet. Siciliano und Gastaldi beschwören hier die vertraute Sympathie des Italowestern für die Südstaaten – nicht in dem Sinn, dass die alte Sklavenhaltergesellschaft verklärt wird, sondern dahingehend, dass die marodierende Soldateska der Nordstaaten zur Allegorie für die Ausbeutung des Mezzogiorno, des italienischen Südens, durch Besatzungsmächte und den reichen Norden umgedeutet wird. Danach ist für unseren zum Eastwood-Lookalike zurechtgemachten Helden die Welt nur noch "un posto tristo e desolato" ("ein böser, von Gott verlassener Ort") und, wie kaum anders zu erwarten, erscheint ihm Blutrache als einzige Handlungsoption. Zur Seite steht ihm dabei zunächst Ivan Rassimov, der Garkos Protagonisten rettet, sich aber über den Lauf des Films von seinem zusehends verrohenden Freund lossagt, bis, ebenfalls nicht sonderlich überraschend, am Ende beide gegeneinander antreten. Was diesen durchaus kompetent inszenierten, allerdings mit 114 Minuten Laufzeit arg lang ausgefallenen und stilistisch deutlich an Leone orientierten Western von vielen Vertretern seines Genres unterscheidet, ist der überladene Plot, der trotz epischem Thema nur wenig involviert. Während in den Gialli Gastaldis Neigung zu verwirrenden Subplots und Twists die an Logik desinteressierte Mystery-Erzählung bestens unterstützt, da erscheint die eigentlich simple Geschichte dieses Western nur unnötig verkompliziert.


Nichtsdestotrotz überrascht I VIGLIACCHI NON PREGANO zumindest passagenweise mit interessanten Variationen der Standardszenen des Genres. Da ist etwa eine surreale Sequenz, in der wie aus dem Nichts ein Priester in einer scheinbar verlassenen Kirche auftritt und die Protagonisten mit einer Predigt verjagt (merke: Schweinehunde beten nicht!). Oder die irrwitzigen Variationen der typischen Mann-gegen-Mann-Duellsituation. Die wird hier mal im Dunkeln abgehandelt, wobei die Gegner einander nur an der Glut ihrer Zigarren erkennen, dann als eine Art Ritterturnier absolviert, wobei die Opponenten aufeinander zureiten und dabei statt sich mit Lanzen zu attackieren, aufeinander schießen. Oder das Duell erfolgt – um weiter in der Analogie zur mittelalterlichen Raubritterballade zu bleiben – gleich als Gottesurteil, das mit zwei Revolvern, elf Platzpatronen und einer echten Kugel durchgeführt wird. Die Musik von Manuel Parada greift im ambitionierten Titoli unter anderem auf einen Kinderchor und Cembalo zurück, hebt den als Abfolge von Shootouts, Prügeleien, Folterszenen und Duellen strukturierten und vorhersehbaren Terza-visione-Western allerdings auch nicht über das gute Mittelfeld hinaus.

Bildtechnisch ist an der DVD kaum etwas auszusetzen, auch wenn einige leichte Bildschäden vorhanden sind, die dem Film in einer Videoprojektion den Charme einer gut erhaltenen 35-mm-Kopie verleihen. Wer eine deutsche Tonspur bevorzugt, kann eine vergleichsweise seriöse Synchronisation genießen, die auf Rainer-Brandt-Kalauer verzichtet. Einziger Wermutstropfen sind die Untertitel, die wie bei allen vier Filme löblicherweise keine Dubtitles, hier jedoch sehr schlampig ausgefallen sind und einige Stilblüten enthalten ("Wo hast du denn diesen entfesselten Typen aufgetrieben?"; "Sie sind ein exaltierter Mann!" etc.).

DVD-Informationen:
Titel: SCHWEINEHUNDE BETEN NICHT
Originaltitel: I vigliacchi non pregano
Anbieter: Koch Media
Produktionsland/-jahr: Italien, Spanien 1969
Regie: Mario Siciliano
Laufzeit: 114 Minuten
Bild: 1,84:1 PAL anamorph
Ton: Deutsch DD 2.0; Englisch DD 2.0; Italienisch DD 2.0
Untertitel: Deutsch, Englisch
Extras: Featurette "Die schnellste Feder des Westens" (15 Minuten); Featurette "Kein Geben für einen Feigling" (7 Minuten); deutscher und englischer Trailer (je 3 Minuten); Bildergalerie

Von den Rändern des Genres: ROY COLT E WINCHESTER JACK von Mario Bava

Der sicherlich untypischste Beitrag zum Genre in dieser Zusammenstellung ist Mario Bavas Comedy-Western ROY COLT E WINCHESTER JACK, dessen Reize sich vermutlich dem Gros der Zuschauer entziehen dürften. Tatsächlich beinhaltet diese rein italienische Produktion einige dümmliche Komikeinlagen, unpassende Witzchen über Verdauungsvorgänge und einen uninspiriert vor sich hin dudelnden Score von Piero Umiliani, der selbst vor Mickey-Mousing nicht zurückschreckt und überhaupt eine Zumutung ist. Der Plot und die Protagonisten sind ganz offensichtlich von George Roy Hills BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID (BUTCH CASSIDY UND SUNDANCE KID; 1969) inspiriert, wobei das Verhältnis der beiden titelgebenden, von Brett Halsey und Charles Southwood (kein Pseudonym!) gespielten Helden wie eine leicht homoerotisch eingefärbte Hippie-Variante des Klassikers wirkt. Marilù Tolo als Prostituierte mit dem Herz am rechten Fleck spielt das gemeinsame Love-Interest der beiden Streuner und ist trotz aller Stereotypisierung eine der wenigen starken Frauenfiguren des Genres.


Von den drei Western, die Bava inszeniert hat – die beiden anderen sind LA STRADA PER FORT ALAMO (DER RITT NACH ALAMO; 1964) und RINGO DEL NEBRASKA (NEBRASKA JIM; 1966; Ko-Regie: Antonio Román) – weist ROY COLT E WINCHESTER JACK am deutlichsten die Handschrift des Meisters der Low-budget-Fantasy und des Gothic-Horrors auf. So zeichnet sich der Film durch eine ökonomische, aber effektive Kameraarbeit aus, eine Tendenz zu langen Einstellungen, vereinzelt kommen Reiß-Zooms und Fischauge zum Einsatz, auch auf wabernden Kunstnebel, optische Tricks, Miniaturen und offensichtliche Kulissen wie Kakteen-Cut-outs im Bildvordergrund verzichtet Bava nicht. Zu den Merkwürdigkeiten dieses Billigwesterns zählen des Weiteren eine ganz offensichtlich getrickste und am Monument Valley angelehnte Tafelfelsenlandschaft am Meer (!), der Auftritt einer gotterbärmlich künstlich wirkenden Plastikschlange und der größte Schlafsack, der je in einem Western zu sehen war. Eine burlesk übertriebe Szene in einem Bordell atmet die Klasse eines viertklassigen italienischen Bauernschwanks und ist eigentlich nicht nüchtern zu ertragen. Auch die Außenaufnahmen, die nicht in Spanien, sondern in der Gemeinde Manziana in der Provinz Rom entstanden und eine gänzlich westernuntypische Landschaft präsentieren, tragen dazu bei, dass ROY COLT E WINCHESTER JACK bisweilen wie ein Western auf dem Mars wirkt. Wer dem Ganzen die Krone aufsetzen möchte, quält sich durch die deutsche Blödelsynchro, die unbedingt zu vermeiden ist, aber im Kontext, dass Charles Southwood als Winchester Jack äußerlich an den jungen Sascha Hehn erinnert, doppelt effektiv ist. Kurz: Dieser sehr alberne, äußerst unkonzentrierte, aber visuell ansprechende Comic-Western hat seinen schlechten Ruf durchaus verdient, mit der richtigen Einstellung unterhält er aber bestens.

Die Bildqualität des Films fällt im Vergleich zu den anderen Werken der Box etwas ab, wobei insbesondere der hohe Kontrast auffällt. Nach 36 Minuten Laufzeit erscheint in der Mitte des Films eine Schrifttafel "Ende erster Teil", worauf sogleich der "2. Teil" des Films beginnt. Eine solche "Intermission", in Deutschland eher von aufwendigen Großproduktionen bekannt, erfolgt in italienischen Kinos üblicherweise bei allen Vorführungen, was darauf schließen lässt, dass als Vorlage für das DVD-Master eine italienische Positivkopie gedient hat. Bavas Genrebeitrag kommt als einziger Film der Box ohne Trailer und englischem Ton daher, in der enthaltenen Kurzdoku kommt aber immerhin Bavas Sohn Lamberto zu Wort.

Alle Filme dieser "Italowestern-Enzyklopädie" liegen in rekonstruierten Langfassungen vor und dürften aktuell weltweit die beste Heimkinoversion dieser Werke darstellen. Die erste Ausgabe der "Italowestern-Enzyklopädie" ist sicherlich keine Box, die man auf die sprichwörtliche einsame Insel mitnehmen mag, aber insgesamt eine hochwillkommene Ergänzung jeder ernsthaften Eurowesternsammlung. Gerne mehr davon!

DVD-Informationen:
Titel: DREI HALUNKEN UND EIN HALLELUJA
Originaltitel: Roy Colt e Winchester Jack
Anbieter: Koch Media
Produktionsland/-jahr: Italien 1970
Regie: Mario Bava
Laufzeit: 82 Minuten
Bild: 1,84:1 PAL anamorph
Ton: Deutsch DD 2.0; Italienisch DD 2.0
Untertitel: Deutsch, Englisch
Extras: Featurette "Bava Colt & Winchester Tentori" (10 Minuten); Bildergalerie

Dieser Text ist zuerst erschienen in "Splatting Image", Heft 94 (Juni 2013)

Und hier einige Trailer und Ausschitte aus den Filmen via Youtube:





 

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